Köln: 20.–24.02.2024 #didacta

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System Kita: Kompetenzvermittlung statt Kollaps?

Der Fachkräftemangel bringt Kitas vielerorts an ihre Grenzen. Dabei haben die Einrichtungen vielfältige Aufgaben rund um Bildung, Erziehung und Betreuung. Im Idealfall fördern sie jedes Kind individuell und tragen so zur Chancengleichheit bei. Welche Maßnahmen schaffen Entlastung?

Seit dem 1. August 2013 gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr. Dabei reichen die Kita-Plätze längst nicht, um die Nachfrage zu decken. Rund 384.000 Plätze fehlen bundesweit, so das Ländermonitoring. Und: Die bestehenden Kindertagesstätten und Tageseltern kommen häufig kaum über die minimale Versorgung der bereits eingewöhnten Kinder hinaus, weil es an Personal mangelt.

Allein um den Betreuungsbedarf für das laufende Jahr abzudecken, müssten insgesamt 98.000 Erzieher:innen eingestellt werden, so die Bertelsmann Stiftung. Kapazitäten für frühkindliche Bildung fehlen bei dieser Rechnung. Denn bundesweit entspricht die Fachkraft-Kind-Relation in 68 Prozent der Kita-Gruppen nicht dem wissenschaftlich empfohlenen Personalschlüssel. Für ein kindgerechtes Bildungsangebot in der Kita müssten demnach 308.800 Fachkräfte zusätzlich eingestellt werden.

Betreuen, fördern, befähigen

Schließlich sind Kitas wichtige Lernorte. Zur Arbeit der Pädagoginnen und Pädagogen vor Ort gehört es auch, „die Kinder zu befähigen, kompetent ihre eigene Welt zu entwickeln und diese zu verantworten“, so Prof. Wassilios Fthenakis, Experte für frühkindliche Bildung, im Interview mit bildungsklick.de. Aus seiner Sicht geht es in der Kita nicht mehr um die Vermittlung von Inhalten, sondern um die Ko-Konstruktion von Zukunftskompetenzen wie beispielsweise Empathie, Motivation, funktionierende Kommunikation, Umgang mit Diversität, Kreativität und Resilienz. Die Aufgabe der Erzieher:innen ist es also, mit den Kindern dialogisch zu arbeiten und sie einzuladen, den Bildungsprozess gemeinsam zu gestalten.

Doch für die pädagogische Arbeit benötigen Erzieher:innen und Leitungspersonal schlicht Zeit. Die kann und muss durch mehr pädagogisch ausgebildete Fachkräfte gewonnen werden, helfen kann mitunter aber auch die Umverteilung von Aufgaben. Zum Beispiel indem eine Verwaltungsassistenz die administrativen Aufgaben in Kitas übernimmt. Auch der Einsatz von Alltagshelfer:innen soll Fachkräfte entlasten: bei der Umsetzung von Hygieneregeln, beim Küchendienst oder anderen, nicht pädagogischen Tätigkeiten. Die NRW-Landesregierung hat ein solches Kita-Helfer-Programm bereits letztes Jahr ins Leben gerufen und 2023 verlängert.

Aber nicht nur personell wird nach Lösungen gesucht. Eine Möglichkeit, die Kommunikation zwischen Eltern und Erzieher:innen zu vereinfachen, sind Apps wie „KITALINO“, „MeinKiGa“ oder „Famly“. Diese können zur Beobachtung und Dokumentation von Lern- und Entwicklungsprozessen der Kinder genutzt werden oder für organisatorische Mitteilungen an die Eltern oder Krankmeldungen. Auch Dienstpläne und Notfallpläne lassen sich in Apps organisieren. Die Autorinnen Marion Lepold und Theresa Lill setzen sich im didacta-Magazin „Meine Kita“ intensiv mit den Chancen digitaler Angebote auseinander: „Die Kinder können aufgrund der eigenen Handhabe eines Tablets selbst Fotos für Portfolioeinträge anfertigen oder durch Sprachaufnahmen zu Wort kommen.“

Der Druck steigt, das Verständnis schwindet

Bereits im September 2021 hatten die Kita-Fachkräfteverbände in Deutschland ein Positionspapier für Kita-Politik formuliert. Darin fordern sie von Bund und Ländern unter anderem die Verbesserung des Personalschlüssels, pädagogisch sinnvolle Gruppengrößen, Investitionen in den Ausbau und Erhalt von Kitas, eine Fachkräfte- und Ausbildungsoffensive, bessere Löhne und ein politisches Mitspracherecht der Beschäftigten.

Auf politische Reaktionen warten die Fachkräfteverbände bis heute, stattdessen hat sich die Situation in den letzten zwei Jahren weiter verschärft. Darunter leidet offenbar auch die Solidarität zwischen Eltern und Fachkräften. Die dauerhaft kollidierenden Interessenskonflikte sorgen dafür, dass Eltern immer weniger Verständnis dafür haben, dass Erzieher:innen überarbeitet sind, die Betreuungszeiten minimieren oder sogar streiken. Vor allem wohlhabendere Familien suchen sich vermehrt eine private Kinderbetreuung, was gesellschaftliche Ungleichheiten weiter befeuert.

Unterstützung für die Kitas?

Im März 2023 bildeten sich auf der Bildungsmesse didacta lange Schlangen im Kongress West. Die Interessierten, darunter viele Kita-Fachkräfte, waren für folgenden Vortrag gekommen: „Vor dem Kollaps? Anspruch und Wirklichkeit der Kindertagesbetreuung“ von Dr. Ilse Wehrmann. Im Interview kurz vor Veranstaltungsbeginn erzählt die Expertin für frühkindliche Bildung, eine „derartig schlechte Situation“ habe sie in 50 Jahren Berufserfahrung nicht erlebt: „Da sehe ich eine große Gefahr von innerer Emigration bei den Pädagogen, weil sie alleingelassen sind mit den Anforderungen, ja, nicht wahrgenommen werden.“ Für die gelernte Erzieherin steht fest: „Die gleiche Summe, die wir jetzt für Rüstung ausgeben, brauchen wir für Bildung.“

Schnelle Abhilfe sollen – ähnlich wie in Schulen – sogenannte Quereinsteigende in der Kita schaffen. Das bundesweite Modellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ ermöglichte zwischen 2015 und 2020 521 Angestellten den Wechsel in den Erziehungsberuf. Allerdings endete das Programm 2021. Länder wie Hessen und Baden-Württemberg haben eigene Programme für Quereinsteigende eingerichtet.


Fachkräfte sehen darin allerdings mitunter eine Abwertung ihres Berufs, schließlich haben sie eine langwierige pädagogische Ausbildung absolviert. Melanie Halbach, Kita-Leiterin im Frankfurter Ostend, bringt es in der FAZ.net so auf den Punkt: „Mein Erzieherherz lehnt das aus pädagogischen Gründen eher ab, aber mein Herz einer Kitaleiterin sieht keine andere Möglichkeit.“ Der Fokus liegt jedoch nicht nur auf den Quereinsteigenden. Der Beruf der pädagogischen Fachkräfte an sich soll attraktiver gestaltet werden, um erfahrene Erzieher:innen zu halten und neue Arbeitskräfte anzulocken. Dafür gibt es seit 2022 das Bundesprogramm „Fachkräfteoffensive Erzieherinnen und Erzieher“. Dessen Ziel ist die Aufstockung der Kita-Plätze, die Verbesserung der Praxis durch professionelle Begleitung und die Anpassung der beruflichen und finanziellen Perspektiven.

Achtsam – auch in der Krise

In dieser Situation zu fragen, was Erzieher:innen selbst tun können, um die Situation zu verbessern, scheint fast hämisch. Und dennoch sucht Kindheitspädagogin und Erzieherin Veronika Lindner die Fehler auch bei sich und ihrer Berufsgruppe: „Wir haben zu lange ertragen und mitgemacht: Wir waren und sind teilweise immer noch die ‚Möglichmacher:innen‘.“ Wie soll den Verantwortlichen da bewusst werden, wie groß das Problem ist?

Lindner macht in ihrem Artikel bei Wolters Kluwer daher Vorschläge, wie Erzieherinnen und Erzieher ihren Arbeitsalltag bestmöglich für sich selbst gestalten können. Auf die eigene Gesundheit zu achten, ausreichend Schlaf, Bewegung und regelmäßiges Essen scheint selbstverständlich, ist es aber offensichtlich nicht. „,Nein‘ sagen und Hilfe holen ist erlaubt“, so Lindner. Auch eine Überlastungsanzeige könne helfen, die eigenen Herausforderungen zu reflektieren und gleichzeitig auf Missstände hinzuweisen. Gefragt sei zudem die Kita-Leitung: Durch eine gute Arbeitsorganisation könne sie „sich selbst entlasten und auch bei ihrem Team für Entlastung sorgen“, beispielsweise durch Vor- und Nachbereitungszeiten in den Dienstplänen und Notfallpläne. Diese Maßnahmen können zwar nicht den Betreuungsnotstand ausgleichen, aber Fachkräften zumindest helfen, resilient mit der Situation umzugehen.

Vom 20. bis 24. Februar 2024 führt die didacta wieder Lehrkräfte, Erzieher:innen, Ausbilder:innen sowie Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in Köln zusammen. Als größte und wichtigste Bildungsmesse Europas präsentiert die didacta alle relevanten Bildungsthemen und fördert den Dialog in der Bildungswirtschaft.

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Bildung ist die wichtigste Ressource im Land, findet Dr. Ilse Wehrmann. Trotzdem erführen Pädagog:innen nicht die Anerkennung und Wertschätzung, die sie verdienten. Steuern wir auf einen Kita-Kollaps zu? Das vollständige Video-Interview, geführt auf der didacta 2023, finden Sie auf bildungsklick TV.

Nähere Informationen zu den Veranstaltungen der didacta 2024 finden Sie unter www.didacta-koeln.de, auf Facebook, Instagram und LinkedIn.

Information für Redaktionen: Interviews, Videos, Texte und Zitate aus diesem Themendienst können gerne zur redaktionellen Berichterstattung verwendet werden. Beim Bildmaterial beachten Sie bitte die Nutzungshinweise am jeweiligen Bild. Über ein Belegexemplar an info@bildungsklick.de freuen wir uns.

Quellenangabe: Dieser Beitrag erschien zuerst im didacta Themendienst.

Der Themendienst im Überblick: Weitere Artikel und Interviews zur didacta – die Bildungsmesse 2024 finden Sie im Dossier auf www.bildungsklick.de.

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  • Melanie Wolf

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